Aus   "DER WESTPREUSSE"  Nr. 21 – 1     Münster   3. November 2001   
Güter und Gutshäuser im Kreis Neumark

    von  Rudolph Orlovius 

Wider das Vergessen  – 

soll hier ein Kapitel aufgeschlagen werden, das bisher in der Aufarbeitung der westpreußischen Geschichte wenig Beachtung fand. Es soll hier kurz an die Gutshäuser im Kreise Neumark/Löbau erinnert werden und an die Menschen, die sie bis 1945 bewohnten, bevor auch die letzten Reste verschwinden. Die Anregung kam zunächst von der Ausstellung im Westpreußischen Landesmuseum, "Schlösser und Herrenhäuser in Westpreußen".
Es wurden hier aber nur die von Alexander Dunkers 1857 - 83 entstandenen Blätter gezeigt, die ja nur eine kleine Auswahl darstellen und bei denen auch bei Darstellung des heutigen Zustandes, die Angaben über die letzten Besitzer von 1945 fehlen. Für mich, der ich aus meiner Schul- und Soldatenzeit viele der jüngeren Söhne dieser Familien kenne, zu wenig Information. Einen weiteren Anstoß erbrachte die Anfrage der Geschäftsführung der Landmannschaft Westpreußen, um Beiträge zur Erfassung von "Deutschen Kulturgütern im Heimatgebiet Westpreußen".

In dieser Liste für den Kreis Neumark wurden auch relevante Gutshäuser bzw. Schlösser derjenigen Güter aufgenommen, die schon vor 1939 in deutscher Hand waren. Genau in diese Richtung stößt auch eine Anfrage des Dipl.-Ing. Wulf D. Wagner aus Berlin, der in seiner Dissertation ostpreußische Gutshäuser bearbeitet. Er schreibt: "Bei meiner Erfassung geht es um die Erstellung der Grundrisse sowie der Baugeschichte und Aussehen der Häuser bis hin zu den Möbeln. Außerdem ist es eine kulturgeschichtliche Forschung, so dass zu allen Gütern die Geschichte von der Gründung bis 1945 und die Geschichte der Besitzerfamilien mit Angaben über deren Leben aufgeschrieben werden soll. Ich bearbeite eigentlich nur ostpreußische Güter, nur da, wo deutsche Familien auf westpreußischen Gütern saßen, nehme ich dieselben dazu. Von letzteren ist zurzeit erst Laskowitz / v. Gordon erfasst." Von Herrn Wagner direkt angesprochen, habe ich ihm entsprechende Unterlagen zukommen lassen. Zur weiteren Information und Erfassung habe ich die von der D.V. e.V. in Bromberg 1938 aufgestellte Liste übersandt, in der kreisweise die von der polnischen Agrarreform von 1925 betroffenen Betriebe nach deutschen und polnischen Besitzern aufgeführt sind.

Diese Liste, im Nachfolgenden gezeigt, ist u. a. auch Grundlage meines Berichtes. Der Gutsbesitz in Westpreußen war sicherlich ein bestimmender Wirtschaftsfaktor der deutschen Minderheit in Polen. Die  Besitzer waren, oft neben ihren beruflichen Sorgen, auch Träger von wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, kultureller und auch politischer Verantwortung. Mit der Erwähnung ihrer Namen wird man zweifelslos denen eine letzte Ehre erweisen, die sich in diesen Zeiten, oft nicht zum eigenen Nutzen, vor die Allgemeinheit gestellt haben und deren Söhne, oft die einzigen, im Glauben an eine gerechte Sache gefallen sind und deren Töchter, oft mit einem anderen Namen in der neuen Familie aufgegangen sind. Zum Thema der Landwirtschaft in Pommerellen, insbesonders der Gutswirtschaften und ihrer Besitzer, sind im Laufe der Zeit sicherlich viele Einzelberichte und subjektive Stellungnahmen erschienen, eine zusammenfassende, wissenschaftliche Arbeit, darüber gibt es m. E. nicht.

Mein Beitrag soll u. a. dazu anregen und einige Objekte vorstellen, bevor der Letzte, der dort gelebt oder sie gekannt hat, gestorben ist bzw. bevor die Gebäude einer Strukturänderung zum Opfer gefallen sind. Die Besitztitel deutscher Gutsherren im Kreise Neumark waren zwangsläufig jung. Bis 1772 waren die ländlichen Besitzungen, Güter und Dörfer, geistlicher Besitz des Kulmer Bischofs, der Kirchen und Klöster oder in der Hand polnischen Adels, wie die Huldigungsakten vom 27. 9. 1772 ausweisen. Erst nach der Säkularisierung des geistlichen Besitzes und der Auflösung der Klöster aufgrund der Verordnung vom 30. 10. 1810 und der Hardenbergschen Reformen, konnte der Verkauf in private Hand, jetzt auch an Bürgerliche, beginnen.

Die Zahl der deutschen Güter im Kreise Löbau/Neumark war vor 1939 gering. Zum Ersten betrug der Anteil der  deutschen Bevölkerung 1939, im Gegensatz zu anderen westpreußischen Kreisen, gerade noch 3 Prozent der Bevölkerung. Zum Anderen war der Besitz in deutscher Hand gegenüber dem Güteradressbuch von 1912 um zirka 50 Prozent zurückgegangen, wozu die vorhergegangenen Verluste durch die Ansiedlungskommission und die zahlreichen Übernahmen als Domänen durch den Fiskus hinzukamen. Diese Domänen fielen ab 1920 als erste den polnischen Siedlungsplänen zum Opfer. Zu den Gütern in deutscher Hand, ihren letzten Besitzern,  nachfolgend eine Kurzinformation:

 

1. Ludwigslust: 

  Ludwigslust - Richter - vor dem Kriege

Letzter Besitzer Ökonomierat August Richter, der das 1830 erworbene Gut 1893 übernahm. Das Gutshaus wurde um 1860 erbaut. August Richter starb 1938 kinderlos, Erben waren seine Frau Elisabeth Richter-Doering und seine Stieftochter, Lotte Hopp mit ihren 3 Kindern. 

Ludwigslust - Gutshof und Hofgebäude sind abgetragen - Ansicht heute

  Während Heinz Hopp an der Front war, verließen die übrige Familie Ludwigslust am 19. 1. 1945. Nach Aufenthalt in der Tucheler Heide wurde der Treck im März bei Stolp von den Russen eingeholt. Nach einer schweren Zeit in Mecklenburg gelangte die Familie mit allen Kindern, der jüngste war jetzt 1 Jahr alt, zu Weihnachten 1945 in den Westen.

 

2. Schackenhof: 

Schackenhof - Rüchardt

Das Gut wurde 1814 von Gottlieb Ernst Rüchardt erworben. Der Enkel Georg Lebrecht, geb. 1851, der viele Jahre als Kaufmann in Moskau tätig war, übernahm das Gut 1901 und erweiterte u. a. das Gutshaus. 

Er starb 1922. Erbin war seine Frau Fanny und ab 1939, der Enkel Georg Rüchardt, geb. 1915. Er verstarb 1945/46 in russischer Gefangenschaft. 

Seine ältere Schwester Elisabeth (Lisa), geb. 1911, wurde von den Russen 1939 verschleppt und gelangte nach dem Kriege nach abenteuerlichen Erlebnissen nach Chile. 

Mit dem Treck entkamen zunächst in  die Lüneburger Heide die Frau von  Georg Rüchardt Erna, geb.Pohl mit 2 langjährigen Hausdamen. Das Gutshaus von Schackenhof ist heute eine Landwirtschaftsschule.

 

3. Hartowitz: 

 Hartowitz - Lemke

Letzter Besitzer war Friedrich Lemke. Wann die Familie Lemke das Gut erwarb, ist nicht bekannt. In den Güteradressbüchern von 1880, 1908 und 1912 werden jeweils andere Besitzer genannt. Ich selbst habe ihn nicht gekannt, habe ihn einmal anlässlich einer Sitzung  der Brennereigenossenschaft Löbau gesehen. Er ist mit dem Treck mit seiner Familie in den Westen gelangt. Das Gutshaus ist heute das Pfarramt der seit 1994 selbstständigen Kirchengemeinde mit der 1984 erbauten Kapelle.

 

4. Groß-Lobenstein: 

 Groß-Lobenstein  -   Franz Orlovius 

Es ist mein Geburtsort. Mein Vater, Franz Orlovius, geb. 1884 in Stephansdorf, kaufte es 1909 von Herrn Freiwald, der es Ende des 18. Jahrhunderts nach Auflösung des Bischöflichen Besitzes erworben hatte. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges verhinderte nach erfolgreichem Wiederaufbau der Wirtschafts- und Arbeiterwohngebäude den Ausbau des sehr alten Gutshauses. Neben erfolgreicher Tier- und Pflanzenzucht (Vermehrungsanbau) war mein Vater im Volkstums-, Landbund- und Genossenschaftswesen tätig, zuletzt während des 2. Weltkrieges als Kreisjägermeister. Am 19.1.1945 ging er mit seiner Frau Ruth, geb. Klamp und deren Schwester Hanna auf den Treck, den er als Treckführer ohne besondere Ereignisse im März 1945 in den Kreis Wesermünde brachte. Von den vier Kindern war zum Zeitpunkt der Flucht keines zu Hause. Die beiden Söhne waren Soldat, die Töchter teils in der Ausbildung, teils im Kriegshilfsdienst. Während die beiden Töchter bei Berlin zum elterlichen Treck stießen, fiel der ältere Sohn und Erbe im März 1945 in Kurland, während der Jüngere 1946 aus russischer Gefangenschaft zurückkehrte. Das Gut ist heute unter 15 Neusiedler aufgeteilt. Vom Gutshaushalt steht nur noch der 1904 erbaute Flügel, der einem Neusiedler als Wohnhaus dient.

 

5. Mortung: 

 Mortung - Geiger

Schon 1880 im Besitz der Familie Geiger. 1908 und 1912 wird als Besitzerin Frau Anna Geiger genannt. Nach ihrem Tode erbten und verwalteten es 3 unverheiratete Brüder. Die letzten, Fritz und Kurt, blieben 1945 auf ihrem Besitz und wurden beim Einmarsch von den Russen erschlagen. Das Gutshaus und die Wirtschaftsgebäude sind heute ein florierender Reiterhof, ein landwirtschaftlich und gewerblich genutzter Betrieb in Privathand.
 
 

6. Ostrowitt: 

 Ostrowitt - Blücher

1846 erwarb Karl von Blücher das Gut und übergab es 1863 seinem Bruder Friedrich. Dessen Sohn Hans übernahm Ostrowitt 1916. Er heiratete 1913 und hatte aus seiner ersten ehe 3 Kinder. In der polnischen Zeit (1920 - 1939) setzte er sich mit ganzer Kraft für die Belange der deutschen Volksgruppe, besonders im Bezug auf die Agrarreform, ein sowie auch für den Landbund Weichselgau und das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen. Der einzige Sohn und Erbe fiel 1941. Am 19.1.1945 ging Hans v. Blücher mit seiner Tochter Sigrid (später v. Klitzing) auf die Flucht. In Westmecklenburg wurde v. Blücher für ein Jahr aufgehalten und eingesetzt, bis es ihm Anfang 1946 gelang, in den Westen zu kommen, wo er auch verstarb. Beide Töchter fanden im Westen eine neue Heimat.

 

7. Stephansdorf: 

 Stephansdorf  -  Kurt Orlovius

DasGut wurde 1883 von Emil Orlovius (meinem Großvater) käuflich erworben und 1922 nach seinem Tode von seinem zweiten Sohn Kurt übernommen. Kurt Orlovius war ein erfolgreicher Landwirt, ein guter Kaufmann und im Landbund Weichselgau, besonders im landwirtschaftlichen Genossenschaftswesen, sehr aktiv. Da er unverheiratet war, lebte er mit seiner Mutter und seiner unverheirateten Schwester Käthe zusammen. Im Hinblick auf die kritische Situation im Januar 1945 verließen die 85-jährige Mutter zusammen mit der Schwester Stephansdorf mit der Bahn. Die Reise endete in Stolp, wo die Mutter verstarb und die Schwester bis 1946 festgehalten wurde.

 

8. Gwizdzin (Quesendorf):  

Quesendorf / Gwizdzin  -  Modrow

Wenn der Besitzer in der Liste zur Agrarreform auch bei den Polen eingereiht wurde, so gehörte Modrow doch ganz sicher zur  deutschen Volksgruppe. Vielleicht sollten die Kartoffelzuchterfolge Polen zugerechnet werden. Wilhelm Modrow erwarb 1899, von Pommern kommend, Gwizdzin zusammen mit dem Ziegeleigut bei Lautenburg und dem Gute Meischlitz. Er wurde bekannt durch seine Saatzüchtungen, insbesonders der Kartoffelsorte "Industrie". Als er durch Missernten und andere unvorhersehbare Ereignisse gezwungen war, das Ziegeleigut und Meischlitz zu verkaufen, gelang es ihm, durch den Saatkartoffelverkauf Gwizdzin zu erhalten. Er verstarb im Jahre1926. Sein Sohn Heinrich, der das Gut schon zu Lebzeiten übernommen hatte, führte den Betrieb in der übernommenen Form bis 1945 weiter. Am 19.1.1945 ging er mit seiner jungen zweiten Frau auf den Treck, mit 5 kleinen Kindern und erreichte ohne größere Schwierigkeiten die Lüneburger Heide. Gwizdzin ist heute ein Musterbetrieb mit Vorzeigecharakter

 

9. Gut Warden: 

 Warden u.  Osetno  -  Graf v. Alvensleben

Gut Warden gehörte zusammen mit Osetno zu den Besitzungen der Familie Graf von AIvensleben in Ostrometzo. Entsprechend der gräflichen Familiengeschichte dürfte der Erwerb der Güter in die Hälfte des 19. Jahrhunderts fallen. Von dem langjährigen Pächter und Verwalter, Herrn Thielemann, ist hier nichts bekannt. Das Gutshaus in Warden ist umgebaut und in Privatbesitz, der Kontakt des heutigen Besitzers zur Familie v. Alvensleben besteht immer noch. Von Osetno ist nur die Grundschule noch erhalten. 

Die nachfolgenden zwei Güter fielen entsprechend ihrer Größe nicht unter das Agrarreformgesetz. Wegen des Bekanntheitsgrades ihrer Besitzer und der Spezialisierung der Betriebe sollen sie hier mit aufgeführt werden:

 

10. Buschek: 

 

Buschek -  Hollatz

Eitelfritz Hollatz kauft 1919 das Brennereigut Buschek. Mit einem kleinen Stutenstamm aus der Zucht seines Vaters begann er gleich mit einer planmäßigen Pferdezucht auf Trakehner-Grundlage. Jährlich wurden zehn bis 15 Remonten verkauft. Außerdem war er ein passionierter erfolgreicher Landwirt. 1945 ging er mit einem großen Treck auf die Reise, erreichte den Westen und konnte mit dem geretteten Pferdematerial eine neue Existenz aufbauen. Sein älterer Sohn kehrte erst im Herbst 1949 aus russischer Gefangenschaft zurück, während der zweite Sohn sein Nachfolger wurde.

 

11. Kolodzeiken: 

 Kolodzeiken  -  Plitt

Erster Besitzer von Kolodzeiken war um 1820 Johann Otto Plitt, Sohn des ersten evangelischen Pfarrers in Deutsch-Eylau und Löbau. Sein Enkel, Hans Plitt, letzter Besitzer, verstarb 1941. Kolodzeiken war ein Mühlengut mit Mahlwerk und Holzgatter. Es lag direkt an der deutsch-polnischen Grenze am gleichnamigen Grenzübergang. Das Flüsschen Grisella, das die Mühle betrieb, war die Grenze. Die Witwe mit 3 Kindern kam mit dem Treck bis Dirschau, musste ihn verlassen und kam durch die Hilfe deutscher Soldaten mit dem letzten Zug in den Westen.

Von den o. a. Gütern, sofern nicht aus der anliegenden Liste ersichtlich, standen folgende Betriebe 1938 auf der Namensliste der Agrarreform: Stephansdorf mit 235 ha, Groß-Lobenstein mit 175 ha und Ludwigslust mit 200 ha.
 


Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, mich für die geleistete Hilfe zu bedanken. Bedanken möchte ich mich vor allem bei den einzelnen Familienmitgliedern für die Informationen, den Herrn Alfred Brandt aus Marl und Herrn Edmund Tessmer, dem Vorstand des Bundes der Bevölkerung deutscher Volkszugehörigkeit aus Nowe Miasto Lubawskie für die Beschaffung und Bereitstellung der verwendeten Bilder, soweit sie nicht dem Archiv des Verfassers entnommen sind.

Rudolph Orlovius

Quellenangaben:

Rudolf Steege, „Heimatbuch für den Kreis Neumark in Westpreußen bis 1941 Kreis Löbau (Westpr.) ".Selbstverlag.

„Eingaben und Denkschriften zur Agrarreformfrage, gesammelt von der Deutschen Vereinigung e. V. - Bromberg," Stand 1938.

Briefe und Erlebnisberichte von einzelnen Familienmitgliedern, Archiv des Verfassers


 


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