Alter evangelischer Friedhof in Krossel (Crosle´) 2007

         Der Drewenzbote !

      Heimatbrief des Kreises Neumark/Westpreußen 
       und seiner Stadt- und Amtsbezirke



 Nr. 111     Dezember 2007
 

             Löbau/Westpr. (Lubawa)

  Neumark/Westpr. (Nowe Miasto  Lubawskie)

 
 
 

Redaktion: Prof. Stephan Freiger, 

Hannelore Freiger und Superintendent Rudolf Steege


 

  Soviel Dunkelheit umgibt mich. Soviel Leid quält mich. Soviel Angst lähmt mich. Wohin soll ich gehen ?

Zu dir, Herr, lenke meine Schritte, denn du bist das Licht dieser Welt und meines Lebens. An dir lass mich die Flamme meiner Hoffnung entzünden, damit mein Weg mich nicht in die Irre führt.

( aus Jörg Buchna „Leben aus deiner Hand“)

 

Liebe Heimatgemeinde !

 Diesen „Weihnachtsgruß“ möchte ich in einen herzlichen Dank münden lassen. Natürlich könnte ich genauso Klagen und Seufzer in den Mittelpunkt stellen. Aber nun gilt doch: Die Botschaft des Christfestes sagt uns, dass mit dem Kommen Jesu Christi Gottes Licht in die Dunkelheit der Welt eingebrochen ist.

Die Dunkelheit ist eine Wirklichkeit, aber auch das Licht ist eine Realität. Was uns beschwert, kann uns so gefangen nehmen, dass kein Raum mehr übrig bleibt für das Frohmachende, das es doch auch gibt.

Und wiederum: Die entscheidende Nachricht von Weihnachten verkündet uns, „was Gott an uns gewendet hat“. Wir wollen nicht die Augen vor den Nöten in uns und um uns verschließen, aber wir dürfen auch die Wohltaten aufmerksam wahrnehmen, die wir reichlicher erfahren, als wir oft meinen. Tun wir das, dann hat nicht die Undankbarkeit, sondern die Dankbarkeit das letzte Wort.

Wir werden das Christfest nicht recht feiern können, wenn wir den Dank unterdrücken und dem Licht verbieten, seine Leuchtkraft zu entfalten und so der Dunkelheit ihr letztes Recht zu bestreiten. Darum danke ich dafür, dass gilt, was wir in unserem vielleicht bekanntestem Weihnachtslied singen: „Christ, der Retter, ist da“. Darum danke ich für alles „Miteinander-auf-dem-Weg-sein“ und wünsche uns gegenseitig, dass wir im Denken aneinander dem Apostel Paulus nachsprechen können: “Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke...“ (Brief an die Philipper 1,3)

Zu diesem Miteinander als Heimatgemeinde, solange uns Gott noch das irdische Leben lässt, gehört auch, dass wir im September 2009 das letzte Heimatkreistreffen in Hude veranstalten wollen, weil die Besucherzahlen von Jahr zu Jahr aus naheliegenden Gründen immer mehr abgenommen haben. Die Verbindung wollen wir dennoch zueinander halten durch den zweimal im Jahr erscheinenden Heimatbrief „Der Drewenzbote“. Vorstand und Beirat sind dazu gerne bereit, solange uns dafür die nötigen Kräfte geschenkt und die erforderlichen finanziellen Mittel aus dem Leserkreis zur Verfügung gestellt werden.

Ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein behütetes Neues Jahr erbittet Ihnen allen

                                                                               Ihr Rudolf Steege

 

  

         Liebe Landsleute!

Wie Rudolf Steege in seinem Gemeindegruß mitteilt und auch dem Bericht der Heimatkreisversammlung zu entnehmen ist, wird 2009, zum 60-jährigen Bestehen des Heimatkreises, die letzte offizielle Heimatkreisversammlung in Hude stattfinden. 

Unsere Arbeit geht aber weiter.Wir wollen für das Gedenken an unsere alte Heimat tätig bleiben und unter anderem besonders für die Kenntlichmachung bzw. Erhaltung der ehemaligen deutschen Friedhöfe in unserem Kreis sorgen. Das Bild auf der Titelseite, von Edmund Tessmer zugesandt,  zeigt den Friedhof in Krossel. Er ist einer von vielen im Kreis noch vorhandenen, nicht gepflegten Friedhöfe. Es ist das Verdienst Edmund Tessmers, die Erinnerung an sie durch seine Ausstellung im vergangenen Jahr (siehe Drewensbote Nr. 110 vom Juni 2007) wachgerufen zu haben. Wir, der Heimatkreis, möchten die Friedhöfe, so wie in Löbau geschehen, mit Hilfe von Gedenktafeln, dem Vergessen entreißen. Deshalb setzen wir unsere Spendensammlung fort,helfen Sie, spenden Sie bitte.    

Dieser Drewenzboten ist primär eine Rückblende mit historischen Darstellungen über unsere und Geschichten aus unserer alten Heimat. Historische Wahrheiten kund zu tun erscheint mir, mit Blick auf Polen und Tschechien, wo z.Zt. Politiker das Sagen haben, die immer noch die nationalistischen  Nachkriegsideologien der Siegermächte vertreten und daraus Forderungen ableiten, wichtig. Der Artikel von Rudolf Orlovius und das Buch von Ernst Heinrichsohn 8siehe Hinweis)  sind exemplarisch.

Hans G. Brunst schildert sein Erlebnis als Kind in den letzten Kriegsjahren und der Artikel von Kurt Zerell ist ein Beispiel, dass, trotz schwerer Kriegszeit, die Lebensfreude erhalten blieb.

Ich bin seit Jahren bemüht, zwischen Deutschen und Polen gute Nachbarschaft, ja wo es persönlich geht, Freundschaft entstehen zu lassen. Dazu gehört eine Kenntnisnahme der Historischen Tatsachen.

Gesegnete Weihnacht und ein gesundes, gutes neues Jahr!

 Ihr Stephan Freiger  

Heimatkreisvertreter

 

  

Grußwort des Patenkreises Oldenburg

zur Jahreswende 2007/2008

Mit großen Schritten neigt sich das Jahr 2007 dem Ende entgegen. Viele große und kleine, sowie fröhliche aber auch nachdenkliche Ereignisse haben uns bewegt. Über die Medien haben wir am Geschehen in der ganzen Welt teilgenommen, andere Dinge haben wir live erlebt. Zum Jahresende und in der Weihnachtszeit halten viele Menschen trotz der vielerorts großen Hektik inne, um die vergangenen Monate Revue passieren zu lassen.  Die bevorstehenden Feiertage und der Jahreswechsel sollen Inseln der Besinnung und der Ruhe, aber auch der Fröhlichkeit und des herzlichen Miteinanders sein.

Ich freue mich, dass wir auch in diesem Jahr das herzliche Miteinander und die partnerschaftliche Verbindung zu unseren Freunden im Landkreis Nowomiejski weiter vertiefen konnten. Im Juni dieses Jahres war eine Delegation von Unternehmerinnen und Unternehmern aus dem polnischen Landkreis Nowomiejski - mit Landrat Stanislaw Czajka an der Spitze - zu einem fünftägigen Informationsbesuch im Landkreis Oldenburg zu Gast.

Dieser gedankliche Austausch auf den Sektoren Wirtschaft und Kultur hat für beide Seiten erneut viele interessante Aspekte aufgezeigt. Aus diesem Grund, und darin waren sich alle Beteiligten einig, war der Besuch der polnischen Gäste allein schon ein voller Erfolg.

Die zahlreichen Fachgespräche während des Besuchs führen erfreulicherweise zu immer engeren Kontakten und fördern die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Landkreisen.

Diese Partnerschaft soll im Frühjahr kommenden Jahres weiter vertieft werden, denn dann reist eine Delegation des Landkreises Oldenburg zu einem Austausch in den Landkreis Nowomiejski.

Allen Neumarkern und ihren Familien wünsche ich, dass sie nach der Hektik des Alltags in der Weihnachtszeit etwas zur Ruhe kommen. Genießen Sie die Stunden in der Winterstille aber auch die Fröhlichkeit und freuen Sie sich auf das neue Jahr. Schöne Weihnachtsfeiertage und alles Gute für das Jahr 2008!

                                                              Landkreis Oldenburg

                                                                                                                         Frank Eger

                                                               Landrat

 

Neues aus der alten Heimat!

Am 03.06.2007 hat es in unserem deutschen Verein in Neumark eine Neuwahl des Vorstandes gegeben.

Die neuen Vorstandmitglieder sind: Edmund Tessmer, Vorsitzender [wiedergewählt], Elzbieta Lenckowska Schriftführerin, Jadwiga Grabowska Schatzmeisterin, Beisitzer: Waltraut Rucinska [wiedergewählt] und Jerzy Krezymon

Revisionskommission: Elzbieta Grabowska als Vorsitzende[wiedergewählt],

Pawel Tessmer und Stanislaw Gorski.

Georg Dybowski und Ella Wisniewska haben nicht kandidiert.

Der Heimatkreis Neumark dankt den beiden ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern für ihre langjährige Zusammenarbeit!

 

Gedenken der Toten auf ehemaligen deutschen Friedhöfen.

Bereits Tradition ist es für den deutschen Verein in Neumark, am 2. November (Allerseelen) der Toten zu gedenken. Auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof in Löbau wurden auch in diesem Jahr Lämpchen angezündet  und Kränze niedergelegt.

Bürgermeister Edmund Standara legte einen Kranz im Namen der Bürger der Stadt Löbau nieder, Edmund Tessmer im Auftrag des Deutschen Vereins.

 

Ev. Friedhof Löbau: v.L.: Waltraut Rucinska, Anna Krezymon, Jurek Grabowski, Edmund Tessmer, Robert Swat, Bürgermeister Edmund Standara.

Am Grab Dr. Lange in Lonkorrek: Anna Krezymon, Edmund Tessmer, Jurek Grabowski

Ich habe nachgedacht!

Von Rudolf Orlovius

 

Am Sylvesterabend 2004 habe ich- beim Ordnen des Nachlasses meiner im vergangenen Jahr verstorbenen Schwester Christa - eine Fotographie gefunden, die mich an die Ereignisse vor nunmehr 65 Jahren erinnerte. Es handelt sich um eine Aufnahme eines Grenzsteines, wie er bis 1939 die deutsch‑ polnische Grenze kennzeichnete. Diese Grenze war fast identisch mit der Grenze unserer Äcker im Osten und schloss somit unseren Lebensbereich in diese Richtung ab. Die Landesgrenze war damals ein Feldrain, alle paar hundert Meter durch einen Grenzstein gekennzeichnet und durch Streifen der Grenzpolizei, den sog. "Grünen" (Zielone ),bewacht .

Die Station der Grenzpolizei befand sich im alten Gutshaus der aufgesiedelten Domäne Klein-Nappern . Zollstationen und Schlagbäume gab es nur an den, die Grenze überschreitenden, Straßen, für uns Kolodzeiken im- Norden, Richtung Osterode und Ruhwalde im Süden, Richtung Marwalde. Ein offizieller Grenzübertritt war im Rahmen des  sogenannten "Kleinen Grenzverkehrs" möglich, der den Bewohnern im Bereich von 7 km beiderseits der Grenze eingeräumt wurde. Die unbefestigte Grenze und die geringe Bewachung machten einen illegalen Verkehr durchaus möglich.

Unser Lebensbereich, im Osten eingeschränkt, erstreckte sich, sowohl im privaten als auch im wirtschaftlichen Bereich, nur auf die Stadt Löbau und die umliegenden Dörfer, die aber wenigstens einen Abstand von 2 km hatten .

Wann der o.a. Grenzstein – er stand zwischen den Ortschaften Groß-Lobenstein und Marienfelde – wirklich verschwand, durch wen und auf wessen Veranlassung, weiß ich nicht, die Gedanken waren auf andere Dinge gerichtet .

 

 

 

Mein Geburts- und bis 1945 auch Wohnort, das Gut Groß-Lobenstein, war bis 1934 ein Gutsbezirk, d.h. zu ihm gehörten die Bewohner in den Gutsgebäuden und den Landarbeiterhäusern. Der Betrieb verfügte über 23 Arbeiterwohnungen, wovon 4 Einzimmerwohnungen waren, vorzugsweise für Jungverheiratete und Rentner.

 

  

Für uns,  die deutsche Minderheit in Polen, hatte sich September 1939 schlagartig eine Weltenwende ereignet. Wir, die diskriminierte Minderheit, wurden nun Angehörige des Staatsvolkes. Dies hatte Folgen, nicht immer gute. Der sehr rasch aufgestellte Selbstschutz, dem alle wehrpflichtigen Angehörigen der deutschen Minderheit angehörten und der in der Anfangsphase – bis die deutsche Verwaltung und Polizei eingerichtet waren    die Ordnung aufrecht erhielt, bot leider auch die Grundlage für Unterdrückungsmaßnahmen.

Dieser Selbstschutz war eine paramilitärische Einrichtung, mit eingeschränkter Polizeifunktion, entstanden auf Anordnung und unter Leitung reichsdeutscher SS.

Auf Befehl der SS, aber inspiriert von rachsüchtigen und egoistischen Denunzianten, er-folgten  Verhaftun-gen staatsfeind-licher Polen grundsätzlich aus der polnischen Intelligenz und Geistlichkeit Enteignung und Evakuierung polni-scher Geschäfte und gewerblicher- und landwirtschaftlicher Betriebe. Die Zeit der sog. Treuhänder begann.

Für steigenden Unwillen und Empörung unter der polnischen Bevölkerung sorgte, neben der Vernachlässigung der Seelsorge, die angeordnete Beseitigung der Wegtempel und Wegkreuze.

Reiner Terror war die planmäßige Erschießung von jeweils 10-12 Geiseln in den einzelnen Städten Westpreußens, in der Zeit von Oktober bis Dezember 1939,  begründet  mit angeblichen Sabotageakten, Brandstiftungen und Partisanentätigkeit.

Die deutsche Minderheit empfand sich befreit von polnischer Unrechtsherrschaft. Die ältere Generation, zweifellos auch Polen, erwarteten eine Rückkehr zu alten preußischen Zeiten. Die Jüngeren orientierten sich mehr an den Erfolgen und der Entwicklung der Wirtschaft, der Innenpolitik und bewunderten die außenpolitischen Erfolge.

Die Revision des Versailler Friedensdiktates wurde Wirklichkeit. Kaum jemand hinterfragte die Ideologie und was im einzelnen, auch im Hinblick auf politische Gegner, Ausländer und Juden, dahinter stand. Im Gegenteil, auch innerhalb der deutschen Minderheit hatte sie bereits vor 1939 Gestalt angenommen, exemplarisch in der „Jungdeutschen  Partei“, angewandt  bei uns in der Goetheschule in Graudenz, fiel ihr  unser jüdischer Musiklehrer Bass zum Opfer .

Ein Zeichen absoluter Anpassung war wohl auch die Tatsache, dass beim 1. deutschen Abitur an der Goetheschule zur mündlichen Prüfung von 16 männlichen Prüflingen 14 in der Uniform einer NS-Formation erschienen.

Nach Auflösung des Selbstschutzes wurden geeignete Mitglieder desselben ohne große Bemühungen in die SS übernommen. Nur wer, wie z.B. ich , den rassischen Vorstellungen nicht entsprach oder aus religiösen Gründen, wie Egon Wege, sich dem verweigerte, war davon ausgeschlossen .

Um die Reaktion der deutschen Minderheit insgesamt besser zu verstehen, muss man wohl einen Blick auf das letzte Jahr 1939 und auch auf die ganze Zeit von 1920 an, werfen. Daraus ergibt sich, dass aus der Sicht dieser unmittelbar Betroffenen und Dabeigewesenen, die Version eines Überfall Deutschlands auf Polen nicht aufrecht zu erhalten ist .

Die Besetzung der Tschechei und die Annexion des Memellandes, die ersten illegalen außenpolitischen Aktionen des 3. Reiches, hatten im Ausland, besonders aber in Polen, zu Ängsten und zu der englischen Garantieerklärung für Polen geführt. Polen ordnete daraufhin eine Teilmobilmachung an. Einher ging, daß die Aggressionen gegen die deutsche Minderheit von Seiten der Verwaltung und der Bevölkerung zunahm.

Boykott deutscher Geschäfte und Einrichtungen , Schließung deutscher Banken und Schulen , Revision der Zeitungen , Anpöbeleien und tätliche Angriffe auf Deutsche waren die Folge. In den Augusttagen gab es Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme von Jagdwaffen, Stilllegung von Radio und Telefon, ja bei uns sogar der Versuch, die Tauben zu vernichten, und in Einzelfällen die Ausweisung aus der Grenzzone.

Dem unmittelbaren Kriegsausbruch folgte die massenweise Internierung der deutschen Minderheit, die dann zu den berüchtigten Verschleppungsmärschen und dem allbekannten „Bromberger Blutsonntag", am 3. 9.1939 , führten .

Der Vollständigkeit halber hier nochmals die Maßnahmen der neuen polnischen Regierung gegen ihre ungeliebten deutschen Mitbürger, zum Teil illegal und vertragsbrüchig, sowohl was die Verfassung garantierte und was im Zusammenhang mit dem Friedensvertrag von 1919 ( Minderheitenschutzvertrag ) vereinbart war. Alles lief auf die Reduzierung und Entmachtung der deutschen Minderheitengruppe hinaus. Bis 1939 war es gelungen, sie auf 25 % des Bestandes von 1910 bzw. 1920 zu reduzieren, und zwar durch folgende Maßnahmen: Abzug der deutschen Verwaltung und des Militärs, Ausweisung der Optanten (Freiwilliger Abzug nach Deutschland, Optionen für Deutschland, später wollten jüngere Leute sich dem polnischen Heeresdienst,  besonders 1920 während  des sowjetisch/polnischen Krieges, entziehen ).

Zwangsräumung und Einschüchterung , Liquidierungs- und Annulierungsgesetz , Verlust an Boden und der Existenz, angeblich als Ausgleich der Aktivitäten der Ansiedlungskommission von 1886, Schließung bzw. Behinderung deutscher Schulen , Behinderung der evangelischen Seelsorge ,  Agrarreform , Grenzzonengesetz .

All das hat mich nicht gehindert, mich seit 1975 –  meinem ersten Besuch nach dem Krieg –  um Verständigung mit den heutigen Bewohnern unserer gemeinsamen Heimat zu bemühen. Es ging mir auch von Anfang an um die Schaffung bzw. Erhaltung von bleibenden Merkmalen , konkret um die Unterstützung der Renovierung der Johannes-Kirche in Löbau , einer alten Bernhardiner–Klosterkirche, von 1821 bis 1945 die Kirche der evangelischen Gemeinde. Dafür habe ich Geld gesammelt und den Antrag bei der Stiftung für    Deutsch-Polnische  Zusammenarbeit initiiert und unterstützt.

Ich konnte auf alte Bekanntschaften und Freunde zurückgreifen, neue kamen hinzu, u.a. durch  die Aufnahme als Ehrenmitglied in die „Gesellschaft der Freunde des Löbauer  Landes" ( Towarzystwo Milosnikow Ziemi Lubawskiej ).

Und große Genugtuung bereitete mir, von  Herrn Standara, ehemaliger Lehrer am Löbauer Gymnasium und Vorsitzender o.a. Gesellschaft  die bis zum heutigen Tag anhaltende Wertschätzung meines Vaters erfahren  zu dürfen , die er wie folgt  zum Ausdruck brachte: 

         Wiece Szanowny Panie Orlovius !

         ..... Musze Panu tez napisac , ze bardzo pochlebne sa w naszej okolicy opinie o Panskiej rodzinie, a szczegolnie o Pana Ojca, ktory uratowal z rak gestapo ksiedza ze Zlotowa, nauczyciela I wiele innych ludzi ............

Labawa 23. HL 1994          Serdeczne pozdrowienia wraz z zona Tereza i Bernard.

 ( Übersetzung: Sehr geehrter Herr Orlovius

... Ich muß Ihnen auch schreiben , dass die Meinung über Ihre Familie hier in unserer

Gegend  sehr ehrenvoll ist, besonders an Ihren Vater, der den Pfarrer von Zlottowo,

den Lehrer und viele andere Leute aus den Händen der Gestapo gerettet hat.

Herzliche Grüße zusammen mit meiner Frau .........)

   

„Ein Erdenbürger wird im blutigen 20. Jahrhundert Weltbürger“

Der Autor Ernst Heinrichsohn, Jurist, ist 1921 im Kreis Goldap, Ostpreußen, geboren. Im Rahmen seiner Lebensgeschichte beschreibt er ausführlich die Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland und dem übrigen Osteuropa. Dabei geht er auch auf die Kriegsinteressen der am Krieg beteiligten Mächte ein und korrigiert manche Nachkriegsideologie:

„Nach dem Ende des 2.Weltkrieges gaben die Siegermächte, die Medien und viele Politiker dem deutschen Volk die Kollektivschuld an den geschehenen Grausamkeiten während es Krieges. Die Vertreibung von 20 Millionen unschuldigen Menschen aus ihrer deutschen und ausländischen Heimat mit 3 Millionen Toten, die Hungerpolitik in der Kriegsgefangenschaft mit 2,2 Millionen Toten, die Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Sibirien mit unzähligen Todesopfern und die Nahrungsmittelsperre der Alliierten in den Besatzungszonen mit geschätzten 5,7 Millionen Toten wurden verschwiegen oder als Folge der Schuld des deutschen Volkes am 2.Weltkrieg gesehen.

Presse, Rundfunk und Filme verbreiteten die Naziverbrechen und verharmlosten oder verschwiegen die Verbrechen der Siegermächte. Ein Medienexperte kam mit seinen Recherchen zu dem Ergebnis, dass ein Vertreibungsopfer 200 mal weniger Chancen hatte, in den Medien erwähnt zu werden als ein Naziopfer. Der US-Präsident Ronald Reagen beschrieb den Zustand mit den Worten, die ganze Welt kenne die Verbrechen der Deutschen, doch niemand wisse etwas über die Verbrechen an den Deutschen.

Diese fehlende Unausgewogenheit über die Opfer des 2o.Jahrhunderts möchte der Autor mit dem Inhalt des Buches korrigieren. Nicht nur die deutsche Bevölkerung, auch die Bevölkerung der Siegermächte sollte sich wegen der Verbrechen ihrer Staatoberhäupter schämen. Es würde dann aller unschuldigen Opfer des blutigen 20.Jahrhunderts gedacht werden können, damit sich solche grausamen Geschehnisse nicht noch einmal wiederholen.“

Zu beziehen vom:  Verlag Ernst Heinrichssohn (Eigenverlag)

     Max-Beckmann-Str. 41

26133 Oldenburg.

             Telefon: 0441-46783 ,   E-Mail:  verlag-heinrichsohn@t-online.de

   

  Monate im Gymnasium in Neumark verändern ein Leben

Von Kurt Zerell

(Fortsetzung des Artikels aus dem Drewenzboten vom Juni 2005, S.15 ff.)

„Tangoheini“ nannten mich nach ganz kurzer Zeit die Jungen des Neumarker Gymnasiums. Nicht von ungefähr: Es war Anfang  1944 und ich wusste, nach den großen Ferien  muß ich zum Arbeitsdienst. Also waren Feten angesagt, zu denen Doris  K. Schifferklavier spielte oder ein Grammophon lief. Zigaretten und Alkohol besorgte ich: Wein und Zigaretten vom Vater, 90% Sprit von der Mutter, den sie im Tausch, für Honig, bekam. Aus dem Sprit machten wir im Heim, wie meine Mutter, Eierlikör. Und das lief so ab: Mieke P. war sehr klein und wendig; sie stieg in ein Loch über der Kellertür in den Vorratskeller ein und reichte Zucker und Eier raus.

Klar, dass alle Jungen zu den Feten kommen, mithin tanzen lernen wollten. Es sah lustig aus, wenn die steifen Kerle in der großen Jungenbude übten.

Mich interessierten ganz besonders die Mädchen. Zuerst lief ich Hanny K. nach, aber die Klassensprecherin, Ursula P., ihr Spitzname war „Winnetow“, machte das Rennen. Sie war, wie ich, im Heim, also näher. Wie sich später herausstellte, war sie damals schon, wie einige andere Mädchen auch, in „festen Händen“.

Weil ich mich bei der Neumarker HJ melden musste, guckte ich mir die Feuerwehr-HJ aus. Sie bestand aus Volksdeutschen, Gruppe III, 16-18 Jahre alt. Alle glänzend in einer Elbinger Feuerwehr-Fachschule ausgebildet. Fast jeder von ihnen hatte einen Sonderführerschein für das Feuerwehr-Auto. Sprüche wurden nicht gekloppt, exerzieren etc. gab es nicht. Und einmal in der Woche trafen sie sich in Zivil, in Begleitung ihrer Mädchen, in einem Lokal. Da passte der Kurt Zerell genau rein.

Was aus den Jungen der Volksgruppe III geworden ist, weiß ich nicht. Aber bei meiner „Irrreise“, Mai 1945, von Berlin nach Deutsch-Eylau und Neumark, habe ich eine Mutter getroffen, die ihren Sohn, der inzwischen Soldat einer Sondereinheit gewesen war, in einem polnischen Straflager besuchen wollte. Sie hat ihn nicht zu sehen bekommen. Von ihrer Marschverpflegung, einem großen Brot, in dem Butter steckte, gab sie mir reichlich ab.

In der Schule wurde eine neue Lehrkraft angekündigt, Dorchen Schwarz aus Danzig. Für uns Schüler Anlaß, dem Direx einen Schabernack zu spielen: Kurt Zerell wird als D. Schwarz zurecht gemacht. Ursula P. meldet Dr. Spittler: „Dora Schwarz, Herr Doktor, ist einen Tag früher gekommen“. Sein Staunen brachte mich zum lachen. Und Dr. Spittler: „Die freche Lache kenne ich, das ist Kurt Zerell“. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Das Verkleidungsspiel war für mich eine Generalprobe, die mir möglicherweise einige  Monate später das Leben rettete, jedenfalls die Freiheit gab. Mai  1945 – ich befand mich als Soldat in Berlin – passierte ich die Kontrollen der Russen als schönes junges Mädchen, das ganz schnell wieder ein Junge wurde, von wegen „komm, Frau“.

Anfang April 1944 bekam ich Post. Mir wurde mitgeteilt: „Sie sind ab 20.4.1944 Parteigenosse, brauchen aber noch keinen Beitrag zu zahlen. Der Reichsjugendführer Artur Axmann hat die Jahrgänge 26/27 dem Führer zu dessen Geburtstag zum Geschenk gemacht.“

Alle, die eine feste Anschrift hatten, haben diese Post bekommen – viele wussten  allerdings nichts von ihrem „Glück“, die nämlich, die z.B. schon im RAD oder wo auch immer waren. Ich habe später viele dieser Jahrgänge getroffen, die mir nicht glauben wollten, dass sie PG waren. Und das - umgekehrt – die Nichtbetroffenen heutzutage Schwierigkeiten haben, den Sachverhalt zu glauben, ist höchst interessant. Es gibt aus jener Zeit eine amtliche Verordnung darüber. Ich habe sie auf einem Flohmarkt erworben.  Man sollte sie lesen, bevor man jemanden der Jahrgänge 1926/27 diffamiert. Beispielsweise Siegfried Lenz, Walter Jens, Dieter Hildebrand u.a.

Also, dass ich plötzlich PG war, musste ich natürlich bekannt machen. Am Montag nach dem 20.4. ging ich, mit großem Parteiabzeichen am Jackenrevers, in die Schule. Dr. Spittler sieht es und reagiert sofort:“ Kurt Zerell, mach sofort das Ding ab!“ „Aber Herr Doktor, das ist kein Ding, das ist das Abzeichen der Partei, ich bin seit 20.4. Genosse.“ Als er die Urkunde sah war er fassungslos. Übrigens, auch Ursula P.  kam an dem Tag, ausgeputzt wie ich, mit dem „Ding“ in die Schule.

Meinem Spitznamen bin ich, glaube ich, gerecht geworden. Hat mich viel Geld gekostet, so eine Mädchengruppe z.B. im Cafe´ auszuhalten. Mutter gab mir dafür Lebensmittelkarten. Das Geld beschaffte ich mir, indem ich so ziemlich alles, was ich besaß, verkaufte. Schlittschuhe, Schier, Fußball, Stopuhr etc. Es ist fast so, als hätte ich gewusst, die Sachen sind so und so weg.

Eines Tages bekamen wir von Angehörigen einer Panzergruppe, stationiert in Deutsch-Eylau, Besuch. Klar, sie wollten werben. Unter ihnen war Leutnant Lanecker, 21 Jahre alt, mein früherer HJ Vorgesetzter, ein prima Bursche. Offenbar verliebte er sich auf Anhieb in ein Mädchen und es in ihn. Ein Wiedersehen wurde vereinbart. Auf dem Weg zum Treffen wurde er erschossen. Niemand ist auf die Idee gekommen, dass die Information für den oder die Mörder aus unserer Klasse gekommen sein könnte. Aber es ist vorstellbar. Wir alle wussten, dass er per Rad kommen und welchen Weg er nehmen würde und – wir hatten, wie ich später erfuhr, ein Mädchen in der Klasse, das deutsche Soldaten haßte. Vorstellbar ist allerdings auch, dass er ein „Zufallsopfer“ wurde.

Die Zeiten waren unruhig. Es gab Fliegeralarm. Also ordnete Dr. Spittler an, dass von 21°° bis 24°° Uhr Wache gehalten werden musste. Keine schlechte Sache. Man hatte Zeit, sich richtig auszuquatschen, man war zu zweit.

Die Zeiten verlangten aber auch unseren Einsatz auf dem Acker.  Marsheine M.´s Vater besaß ein Gut. Rüben mussten verzogen werden. Dr. Spittler versprach Hilfe, wir Schüler waren die Opfer. Gegen 15°° Uhr war die Plackerei beendet. Wir verlustierten uns im Garten, Erdbeeren essend, anschließend Ruhepause auf  der Wiese. Es reizte mich, Marsheine, die mit geschlossenen Augen dalag, zu küssen. Wir hatten nicht an Marsheine´s Vater gedacht. Brüllend holte er sie von uns weg, bewaffnet mit einer Peitsche – ein herrlicher Vater. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, dass er seine Tochter nicht aus den Augen ließ. Ich durfte mal auf Marsheine´s Araber aufsitzen als sie sicher war, Vater sieht´s nicht.

 Marsheine M. war ein prächtiges Mädchen. Jeder, der sie kannte, liebte sie. Geheiratet hat sie später so einen Musterknaben und sich 1947/48 in Troisdorf bei Köln vor den Zug geworfen.

Übrigens, zur Strafe für mein „unwürdiges“ (Ausspruch Dr. Spittler) Benehmen musste ich auf dem Schulhof einen Splittergraben ausheben.

Wie unbeschwert wir damals waren, konnte man besonders an Dora Schwarz sehen. Sie machte alle Feten mit. Unterrichtet hat sie die „Pfifferlinge“ – die 10-12 Jährigen.

Liselotte Dobberstein  hatten wir in Deutsch. Ich erinnere mich sehr gern daran, besonders, als wir Fritz Reuter durchnahmen und Agnes Miegel, „Die Frauen von Nidden“. Ich höre noch Hanny K. aus den  „Frauen von Nidden“ rezitieren. In der Klasse war es ganz still, sie zog uns alle in ihren Bann.

Es war eine prachtvolle Klasse! Und das war unser – zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gesungenes Lied:

Uns kann keiner

Auch nicht einer, der so jung ist wie wir

Uns kann jeder, uns kann jeder

Durch die Lupe beseh´n.

Keiner hält uns, es gefällt uns

Überall so wie hier.

Keiner hält uns, es .........

Die „Monate in Neumark“ sind lange, lange her. Jedoch die Menschen, die mir dort begegnet sind, bewahre ich in meinem Gedächtnis, ich erinnere mich gern und oft ihrer.    

   

1944/45 – Die letzten Wochen zu Hause in Großlinker

von Hans G. Brunst aus seinem Buch  „Abschied von Lonkorsch“.

Mir war schon im Spätherbst aufgefallen, dass so viele Pferdefuhrwerke durch unser Dorf fuhren. Als es immer mehr wurden und ein Fuhrwerk dem anderen folgte, wollte ich wissen, warum so viele Leute mit Pferdewagen unser Dorf passierten. Mir wurde geantwortet, dass das Flüchtlinge seien. Ich dachte zuerst, dass Flüchtlinge so etwas Ähnliches wie Zigeuner seien. Viele der Wagen waren Planwagen. Als ich dann aber hörte, dass das Leute seien, die aus Angst vor den Russen von zu Hause weggefahren wären, fand ich das traurig. Ich verstand nicht, warum unsere Soldaten, die doch die besten sein sollten, diese Leute nicht schützen konnten.

Mein Vater fragte mich in diesem Jahr zum ersten Mal, was ich mir denn vom Weihnachtsmann wünschte. Ich träumte von einer Dresch- und einer Dampfmaschine, glaubte aber nicht daran, dass mir dieser Wunsch erfüllt würde.

Ende November zogen Pferde die große Dreschmaschine auf unseren Hof und stellten sie in unserer Scheune ab. Das war ungewöhnlich, denn so spät war bei uns noch nie gedroschen worden.

Anfang Dezember 1944 konnten meine Schwester und ich wieder zur Schule gehen. Zu Hause hing schon ein Adventskalender im Schlafzimmer. Jeden Tag durften wir abwechselnd ein Türchen öffnen und waren immer gespannt, was sich dahinter verbarg.

In der Adventszeit wirkten unsere Eltern wesentlich ernster als sonst und machten oft sehr besorgte Gesichter. Auch unser Opa, der sonst sehr fröhlich sein konnte, war stiller geworden. Manchmal war er so in Gedanken versunken, dass er nicht ansprechbar war. Ich spürte, dass etwas in der Luft lag, worüber sich die Erwachsenen große Sorgen machten. Vater arbeitete fast den ganzen Tag in seinem Büro. Dort hing seit einigen Wochen ein großes gelbes Plakat, auf das ein schwarzer Schatten eines gebückten Mannes mit Hut gedruckt war. In großen Buchstaben stand darunter: „Pst, Feind hört mit!" Vaters Bürogehilfe, Onkel Hinz, der manchmal seine große Pfeife stopfte, die er so oft im Mund hatte, war auch immer da und freute sich, wenn ich ins Büro kam. Gelegentlich war Vater nachmittags auch in seiner Werkstatt anzutreffen.

In der Vorweihnachtszeit versuchte ich oft, einen Blick in Vaters Werkstatt zu werfen. Ich war neugierig und wusste, dass Vater alle meine Spielsachen aus Holz selbst hergestellt hatte. Wenn ich bemerkte, dass er etwas vor mir versteckte, wusste ich, dass er etwas für mich bastelte. In der Adventszeit wurde es schon früh dunkel. In Vaters Büro waren bereits die Petroleumlampen angezündet. Kurz vor Weihnachten sollte ich ihn zum Abendbrot holen. Als ich das Büro betrat, verschwand mein Vater gerade im Nebenraum. Mir entging nicht, dass er etwas in der Hand hielt, das nicht für meine Augen bestimmt war. Am nächsten Tag nutzte ich eine günstige Gelegenheit und sah nach, ob Vater im Nebenraum des Büros etwas versteckt hatte. Ich fand eine noch nicht ganz fertige kleine Dreschmaschine, die mit einem Tuch zugedeckt war. Heimlich schlich ich mich nach Hause und wusste nun, was ich zu Weihnachten bekam. Ich freute mich, denn es waren nur noch einige Tage.

Eine Woche vor Weihnachten wurde auch die große schwarze Dampfmaschine auf unseren Hof geschleppt und hinter der Scheune abgestellt. Mir erschien das sehr merkwürdig. Sollte etwa im Winter gedroschen werden?

Auch das Weihnachtsfest des Jahres 1944 verlief anders als in den Vorjahren. Es hatte noch nicht geschneit. In den Vorjahren lag zu Weihnachten immer  Schnee.

In unserem Wohnzimmer wurde am Heiligen Abend zwar ein großer Tannenbaum aufgestellt und geschmückt, die Bescherung sollte aber erst am ersten Weihnachtstag erfolgen. Der Weihnachtsmann hätte dieses Jahr so viel zu tun, dass er bei uns wahrscheinlich nicht vorbeikommen könne, sagte unsere Mutter. Wir sollten Geduld haben und abwarten. Am Heiligen Abend mussten unsere Eltern noch spät weg. Draußen wurde es langsam dunkel. „Alle Leute sollen zu einer Versammlung kommen", sagte Mutter, „aber wir sind bald wieder zurück." Wir Kinder dürften so spät nicht mitkommen. Wir sollten schön brav sein und spielen. Die Petroleumlampe wurde angezündet und Mutter sagte nochmals, es werde nicht lange dauern. Vater, Mutter und auch unser Opa verließen das Haus, wir waren allein.

Meine Schwester und ich spielten eine Weile, wir hörten unsere Wanduhr ticken und ihren Gong und sahen auf die Zeiger der Uhr. Alles war so unheimlich still. Der große Zeiger der Uhr hatte sich einmal gedreht - ich wusste, dass schon mehr als eine Stunde vergangen war. Meine Schwester bekam Angst und fing an zu weinen, weil unsere Eltern immer noch nicht zurück waren. Ich versuchte sie zu trösten, aber auch mir war bald zum Weinen zumute. Noch nie hatten uns unsere Eltern abends alleine gelassen.

Dann nahmen wir plötzlich Stimmen an der Hinterseite unseres Hauses wahr. Unsere Eltern kamen durch die Gartentüre. Das war zwar ungewöhnlich, aber wir waren froh, dass sie wieder da waren. Vater berichtete, er habe den Weihnachtsmann gesehen. Die Tür zum Garten blieb offen, weil Opa noch draußen war. Als er hereinkam, sagte er: „Draußen steht der Weihnachtsmann." Wir sollten mal zur Türe kommen, der Weihnachtsmann habe es eilig und wolle uns etwas geben. Als wir zur Gartentür kamen, sahen wir draußen eine Gestalt mit langem, weißem Bart und rotem Mantel. Es war stockfinster, so dass wir nichts Genaues erkennen konnten. Uns wurden zwei bunte Tüten mit Plätzchen, Äpfeln und Nüssen gereicht, dann verschwand die Gestalt in der Dunkelheit.

Opa schloss die Gartentüre und wir untersuchten, was alles in den Tüten war.

Am ersten Weihnachtstag fand vormittags die Bescherung statt. Als wir in unser Wohnzimmer kamen, brannten die Lichter am Tannenbaum, Weihnachtslieder erklangen im Radio, bunte Teller mit Plätzchen und allerlei Süßigkeiten standen bereit. Unter dem Tannenbaum entdeckte ich meine Dreschmaschine. Sie sah vorbildgetreu aus. Drehte ich am Antriebsrad, bewegten sich wie bei einer großen Dreschmaschine innere Teile. Ich freute mich sehr und Vater versprach: „Die Dampfmaschine kommt auch noch, der Weihnachtsmann hat sie aber noch nicht fertig." Christel bekam eine Puppenstube und eine neue Puppe, Opa rauchte seine Zigarre. Die Welt schien wieder völlig in Ordnung zu sein. Ich erhielt auch kleine Soldaten. Es waren aber nur farbig bedruckte Pappsoldaten, die mein Schwesterlein bald alle in der Mitte durchgebrochen hatte. In einem bunten Bilderbuch, das auch für mich war, sah man nur Soldaten, Panzer, Kanonen, kaputte Häuser und Feuer. Am meisten beschäftigte ich mich mit meiner Dreschmaschine, die mir so gut gefiel. Die Weihnachtstage vergingen ruhig. Nachmittags gab es Kaffee und Kuchen. Wir waren zufrieden, nur draußen lag immer noch kein Schnee.

In der Woche nach Weihnachten erhielt ich die zur Dreschmaschine gehörende Dampfmaschine. Auch sie sah sehr schön aus und hatte wie die richtige einen Schornstein, den man herunterklappen konnte und viele bewegliche Teile, wie den Hebel, mit dem ich im Sommer des vergangenen Jahres die große Dampfmaschine in Bewegung gesetzt hatte. Mein Weihnachtswunsch war in Erfüllung gegangen. Mit diesem Spielzeug aus Holz hatte mir mein Vater eine große Freude gemacht. Ich konnte mich intensiv damit beschäftigen. Fast alle Spielsachen, die ich als Kind bekam, waren aus Holz. Gekauftes Blechspielzeug schickte hin und wieder Tante Maria aus Berlin. Autos, die man aufziehen und dann laufen lassen konnte, waren für mich nur einen Tag interessant. Meine Spielsachen behandelte ich immer sehr behutsam und machte nie etwas absichtlich kaputt. Sie waren mir sehr wertvoll.

Am 8., 9. 0der 10. Januar 1945 dachten meine Schwester und ich wieder an die Schule, denn die Weihnachtsferien mussten langsam zu Ende gehen. Es kam jedoch anders. Mitte Januar kam unser Vater nachmittags nach Hause und unterhielt sich im Wohnzimmer leise mit Mutter. Christel und ich spielten im Nebenzimmer. Die Tür zum Wohnzimmer wurde zugezogen. Wir sollten schön weiter spielen und jetzt nicht stören. Alles war ruhig, unsere Eltern unterhielten sich sehr leise. Dann hörten wir, dass Mutter kläglich jammerte. Nachdem es wieder still geworden war, drückten wir neugierig auf die Türklinke, traten ins Wohnzimmer und sahen unsere Eltern auf dem Sofa eng beieinander sitzen. Jetzt fing Mutter an bitterlich zu weinen, die Tränen rollten ihr die Backen herunter. Mit ihrem Taschentuch wischte sie sie sich ständig ab und schluchzte. Unser Vater hatte seinen Arm um Mutter gelegt und erblickte uns mit traurigen, feuchten Augen. Erschrocken und verunsichert blieben wir stehen. Noch nie hatten wir unsere Mutter weinen und unseren Vater traurig gesehen. Etwas sehr Schlimmes musste passiert sein. Christel lief zur Mutter und wollte sie trösten. Mutter strich meiner Schwester über die Haare, weinte aber immer noch. Als sich Mutter ein wenig beruhigt hatte, standen unsere Eltern auf. Vater verließ das Zimmer. Wir wollten von Mutter wissen, warum sie so weine. Mutter wiederholte aber immer nur: „Es ist nichts." Wir glaubten ihr nicht, denn ohne Grund weinte man doch nicht. Dann meinte Mutter: „Es wird schon alles gut werden." Sie ging zur Tür, drehte sich zu uns um, sagte: „Spielt schön!" und betrat die Küche.

Abends fragten wir noch einmal: „Was ist denn passiert?" Jetzt antwortete Mutter: „Wir fahren weg." „Wohin denn?", wollten wir wissen. „Vielleicht zu Tante Maria nach Berlin", sagte Mutter, „lasst mich jetzt aber in Ruhe." Bei Tante Maria ist es sicher schön, dachte ich. Sie hatte uns einmal, als sie bei uns zu Besuch war, geschildert, was es in Berlin alles zu sehen gibt. Auch von vielen Autos, elektrischen Bahnen und großen Flugzeugen hatte sie erzählt.

Als meine Schwester und ich abends in unseren Betten lagen, konnten wir nicht einschlafen. Wir unterhielten uns und verstanden nicht, warum unsere Eltern so plötzlich, und das auch noch im Winter, mit uns wegfahren wollten. Die Ferien gingen zu Ende und eigentlich müssten wir doch bald wieder zur Schule gehen. Wir konnten uns auch nicht erklären, warum unsere Eltern so ernst und so traurig waren.

Als wir am nächsten Morgen aufgestanden waren, war unsere Mutter damit beschäftigt zu packen. Sie holte den gesamten Inhalt aus den Schränken und den Schubladen der Kommoden. Wir sollten sie dabei nicht stören, sondern spielen, denn wir waren ihr nur im Wege. Nachmittags kam Kunja ins Haus und half unserer Mutter. Sie war ein neunzehnjähriges polnisches Mädchen, das meiner Mutter oft bei der Arbeit in der Küche zur Hand gegangen war. Kunja war nur ihr Rufname, sie hieß Kunigunde. Mit Mutter und uns Kindern verstand sie sich ausgezeichnet und war immer sehr nett, freundlich und auch sehr anhänglich. Wir konnten nicht verstehen, dass so viele Sachen eingepackt wurden. Am späten Nachmittag waren alle Schränke und Schubladen leer. Auch die Tischdecke und die kleinen Deckchen von den Kommoden wurden verstaut und die Bettbezüge der Eltern abgezogen. Unsere Wohnung wurde immer ungemütlicher. Jetzt erfuhren wir, dass wir nicht mit der Eisenbahn, sondern mit dem Pferdewagen reisen würden. Unser Ziel sei auch nicht Tante Maria, sondern Onkel Wilhelm und Tante Grete, von denen wir bisher noch nie etwas gehört hatten. Beide hätten auch zwei Kinder, mit denen wir schön spielen könnten, sagte Mutter. Onkel Wilhelm sei ein Bruder unseres Vaters und Tante Grete sehr lieb und nett.

 Während Mutter packte, sahen wir Opa und unseren Vater den ganzen Tag nicht. Zum Abendbrot setzten wir uns an einen Tisch ohne Tischdecke. Das war für uns ungewohnt. Alles sah so kahl aus. Im Schein der Petroleumlampe wurde gegessen. Unser Opa war traurig, er hatte feuchte Augen. Unser Vater kam nicht zum Abendbrot. Mir war komisch zumute, denn es wurde kaum gesprochen und die Stimmung war bedrückend. Ich fragte, wo denn unser Vater sei. Mutter wusste es nicht. Wir konnten wieder schlecht einschlafen.  

Am nächsten Tag sollte unsere Abreise erfolgen, es war wohl der 18. Januar 1945.

 Die Windmühle von Lonkorsch wird derzeit restauriert und könnte, wenn auch die Windmühlenflügel fertig sind, viele Neugierige nach Lonkorsch locken.

 

 

 

   

Löbau Johanneskirche mit Klostergebäude

 

 


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